Dr. Franz Graf-Stuhlhofer

Leseprobe aus "Öffentliche Kritik am Nationalsozialismus im Großdeutschen Reich"

"Wie im Untertitel ausgedrückt, will ich Leben und Weltanschauung des Baptistenpastors Arnold Köster behandeln, und zwar im Hinblick auf darin enthaltene NS-Kritik. Denn diese öffentliche kontinuierliche NS-Kritik ist es, die Köster zu einer historischen Persönlichkeit macht. Dadurch daß diese kritischen Predigten in großer Zahl erhalten sind, eröffnet sich die Möglichkeit zu sehen, wie eine christliche Position in behutsamer Weise einer Weltanschauungsdiktatur entgegengestellt werden kann. Da die Überlieferung dieser Predigten erst ab 1938 einsetzt, steht die mit Österreichs Anschluß beginnende Zeit des Großdeutschen Reiches im Vordergrund. Dabei ist diese Schwerpunktsetzung nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich zu verstehen. Denn all jene, die sich außerhalb des deutschen Machtbereiches aufhielten, konnten in ihrer Kritik natürlich viel schärfer sein. Das betraf den gesamten Auslandsfunk (wie BBC), Flugblätter (wie sie z.B. der britische Luftmarschall Harris abwerfen ließ) oder in der Schweiz gedruckte deutsche Literatur (z.B. von Karl Barth, Emil Brunner oder den Bibelforschern geschriebene). Wer innerhalb des Großdeutschen Reiches lebte, war jederzeit dem Zugriff von Gestapo oder SS ausgesetzt - wie der in Wien predigende Baptist Köster.

In diesem Buch konzentriere ich mich auf das Politische als jenem Punkt, der Kösters Leben in den Augen eines Historikers als bedeutend erscheinen läßt. Damit soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, als ob das Politische an sich das Zentrum seiner Verkündigung war. Die Frage, welchen Stellenwert die politischen Aspekte im Rahmen seiner gesamten Verkündigung hatten, erfordert eine differenzierte Betrachtung.

Als öffentliche Meinungsäußerungen sind solche zu betrachten, die von einer größeren Zahl von Menschen gehört bzw. gelesen werden konnten, ohne daß die Anwesenheit von Denunzianten auszuschließen war. In einem kleineren, privaten Freundeskreis konnte selbstverständlich direkter und schärfer geredet werden. Viele sogenannte "Widerstandsgruppen" kamen ohnehin nicht über solche privaten Treffen hinaus. Politische Umsturzversuche mußten natürlich geheim vorbereitet werden. Die Kirchenleitungen konzentrierten sich beim Versuch, auf die Politik Einfluß zu nehmen, auf Eingaben und Vorsprachen - den Weg in die Öffentlichkeit mieden sie weitgehend, um die Regierung nicht zu provozieren. Als "halböffentlich" könnten solche Äußerungen bezeichnet werden, bei denen der Verfasser anonym bleiben will und nur die Botschaft öffentlich ist - also z.B. die Flugblätter der "Weißen Rose". Die Verborgenheit der Urheber ermöglichte eine scharfe Fassung der Inhalte, in aller Regel gelang es jedoch der Gestapo, die Urheber ausfindig zu machen oder zumindest von weiteren Aktionen abzuschrecken. Zu einer kontinuierlichen kritischen Tätigkeit kam es auf diesem Sektor daher nicht. Das Adjektiv "kontinuierlich" habe ich zwar nicht in den Titel hineingenommen, aber naturgemäß ist jene öffentliche kritische Tätigkeit besonders interessant, die nicht bloß sporadisch vorkam, sondern Kontinuität gewinnen konnte.

Manche kirchliche Prediger, die kritische Stellungnahmen zum Zeitgeschehen wagten, wurden bald von der Gestapo verhaftet oder von der SS ermordet (wie z.B. bereits 1939 der evangelische Pfarrer Paul Schneider). Bei Bischof Galen waren vor allem die drei berühmten Predigten vom Sommer 1941 politisch brisant, worin die Gestapo kritisiert wurde. Andere seiner Predigten waren in ihrer Kritik viel behutsamer bzw. boten daneben auch wesentliche konforme Elemente (z.B. Unterstützung des antibolschewistischen Krieges, Glorifizierung des Heldentodes).

Gemäß den Berichten von SD und Gestapo gab es damals zahlreiche deutliche NS-Kritik, aber dabei ist meistens unklar, wie korrekt die denunziatorische Wiedergabe des Gepredigten war und wie die weitere Predigttätigkeit des betreffenden Pfarrers aussah. Die Nachprüfbarkeit ist bei solchen kritischen Bemerkungen wichtig, denn im nachhinein werden viele "große Männer" verklärt, so daß sie in Stellungnahmen ihrer Schüler und Bewunderer als "Gegner Hitlers" dargestellt werden. Soweit eine Überprüfung möglich ist, erweist sich diese Gegnerschaft in vielen Fällen als Wunschdenken. Somit zeigt sich, daß nachträgliche mündliche Behauptungen über oppositionelle Haltung oder Verhalten unzuverlässig sind. Gerade bei Predigten oder Vorträgen kommt es auf die konkreten Formulierungen an, und dabei sind Jahre oder Jahrzehnte nachher geäußerte Erinnerungen zumeist unscharf. Wir sind also auf schriftliche Überreste angewiesen. Insofern sind solche Predigten wie jene Kösters sehr wichtig, um einen realistischen Eindruck zu bekommen.

Die meisten von Kösters Predigten haben politische Berührungspunkte. Er sah es als seinen Auftrag an, die christliche Botschaft für die Situation seiner Zuhörer - und diese Situation wurde durch die jeweilige politische Lage wesentlich mitbestimmt - deutlich zu machen. Diese politischen Predigten besitzen eine Sonderstellung, denn Priestern und Pastoren wurde damals seitens ihrer Kirchenleitungen nahegelegt, sich unpolitisch zu verhalten.

Bei Köster beschränkten sich die ihm von der Gestapo bereiteten Schwierigkeiten auf wiederholtes Überwachtwerden und mehrere Verhöre. Er hatte also - im Unterschied zu vielen anderen, die öffentliche Kritik an Theorie und Praxis der Regierung gewagt hatten - die Möglichkeit, seine öffentliche politische Kommentierung bis zum Kriegsende fortzusetzen. Das ist nur z.T. sein Verdienst, eine wichtige Voraussetzung dazu werden günstige Umstände gewesen sein. Sein Verdienst liegt nun darin, daß er diese Umstände zu nützen verstand, was zuallererst Mut, dann die Absicht, den möglichen Rahmen auszuloten, daraufhin die innere Abwehr des Eingeschüchtertwerdens und schließlich Geschicklichkeit in den konkreten Formulierungen erforderte.

Das alles führte zu dem Resultat, daß Köster einer der schärfsten öffentlichen kontinuierlichen NS-Kritiker im Großdeutschen Reich war."
(S.2-5)

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