Bibelgebrauch in der Kirchengeschichte
Die Verwendung der Bibel ist ein wichtiger praktischer Aspekt der Kanonsgeschichte. Diese verfolgt das allmähliche Werden einer Sammlung von verschiedenen Büchern als autoritative "Heilige Schrift" sowie die Serie der Versuche, diese Sammlung eindeutig abzugrenzen. Daneben existiert die eher vernachlässigte Wirkungsgeschichte; diese untersucht die Frage, wie intensiv die einzelnen zu dieser Sammlung gehörenden Bücher in der liturgischen Praxis sowie im theologischen Disput tatsächlich verwendet wurden. Diese Frage untersuchte ich für verschiedene Epochen der Kirchengeschichte, soweit sich das Gebrauchtwerden der zur "Hl. Schrift" gehörigen bzw. in deren Umfeld liegenden Bücher quantitativ erfassen läßt.
Unter "Verwendung" verstehe ich die einigermaßen eindeutige schriftliche Bezugnahme (auf ein biblisches Buch), was in Form eines Zitats oder einer Paraphrase geschehen kann. (Der Miteinbezug vieler Vergleichsstellen, bei denen völlig unsicher ist, ob der Autor wirklich an diese gedacht hat, würde das Ergebnis jedoch verfälschen!) - "Verwendungs-Intensität" meint die Häufigkeit dividiert durch Buchumfang (der Anteil eines ntl. Buches an der Gesamtzahl der ntl. Bezugnahmen wird dividiert durch den Anteil dieses Buches am Umfang des NTs - Analoges gilt fürs AT).
Ziele einer solchen Untersuchung: Dadurch kann erstens eruiert werden, ob der tatsächliche Bibelgebrauch eines Kirchenschriftstellers mit seinem ausdrücklichen Kanon übereinstimmt, und zweitens, welche Bücher (innerhalb des Kanons) im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit standen (auf den Psalter, einen neben etwa 40 anderen atl. Büchern, entfallen manchmal fast die Hälfte der atl. Bezüge, etwa bei Gregor v. Nyssa oder bei Augustinus).
Altertum
(Siehe darauf bezügliche Auszüge aus einem englischen Buch zum Kanon von John Barton.)Der Gebrauch der Bibel von Jesus bis Euseb.
Eine statistische Untersuchung zur Kanonsgeschichte
(Theologische Verlagsgemeinschaft, Monographien und Studienbücher; 335). Wuppertal 1988 (160 S.).
Die methodischen Regeln für eine quantitative Betrachtung des Bibelgebrauchs werden hier anhand der Irenäus-Ausgaben erläutert:
Der Ertrag von Bibelstellenregistern für die Kanonsgeschichte.
In: Zs. für die alttestamentliche Wissenschaft 100 (1988) 244-261.
Vier verschiedene Faktoren liegen einem bestimmten "Bibelgebrauchsmuster" zugrunde:
1. "kirchenhistorischer Grundtyp" (z.B.: 1.Kor. wird stets intensiver verwendet als 2.)
2. Themenbedingtheit (wer über Trinität schreibt, verwendet das Johannes-Ev. intensiv)
3. individuelle Besonderheiten
4. regionale und zeitliche Besonderheiten
Diese Faktoren werden erläutert in
Die Verwendungs-Intensität der biblischen Bücher im Altertum.
In: Manfred Büttner, Wilhelm Leitner (Hg.): Beziehungen zwischen Orient und Okzident (Abhandlungen zur Geschichte der Geowissenschaften und Religion/Umwelt-Forschung; 8,2). Bochum 1993, 37-41.
Neuzeit
Anknüpfend an Hartmut Hövelmanns Untersuchung der Kernstellen der Lutherbibel (1989), der von den jeweiligen Herausgebern der Lutherbibel z.B. durch Fettdruck besonders herausgehobenen Stellen, beziehe ich bei den einzelnen Zahlen auch die prozentualen Anteile sowie den Umfang des jeweiligen biblischen Buches mit ein. Ich vergleiche die Lutherbibeln von 1543, 1545, 1883, 1975 und 1984 miteinander:
Die Kernstellen der Lutherbibel von 1543 bis 1984. Verschiebungen in der Verteilung auf die einzelnen biblischen Bücher.
In: Lutherische Theologie und Kirche 18 (1994) 164-174.
Frühe Neuzeit
Das Johannesevangelium sei das "Hauptevangelium und den andern dreien weit, weit vorzuziehen", meinte Martin Luther in seiner Vorrede auf das NT. Betrachtet man nun Luthers eigenen Bibelgebrauch, so stellt sich überraschenderweise heraus, daß diese ausdrückliche Höherbewertung des Joh. mit Luthers eigener Praxis nicht übereinstimmt: Das Gewicht liegt bei Luther nämlich stärker auf der Seite der Synoptiker, als das bei seinen Zeitgenossen der Fall ist:
Martin Luthers Bibelgebrauch in quantitativer Betrachtung.
In: Theologisches Gespräch. Freikirchliche Beiträge zur Theologie 24 (2000) 111-120.Der Bibelgebrauch von Martin Bucer.
Straßburgs Reformator als Luthers treuester Schüler.
In: Thomas Schirrmacher (Hg.): Anwalt der Liebe - Martin Bucer als Theologe und Seelsorger. Beiträge zum 450.Todestag des Reformators (= Jb. des Martin Bucer Seminars; 1). Bonn 2001, 75-93.
20. Jahrhundert
Der 1993 herausgekommene Katechismus der Katholischen Kirche stützt sich auf biblische sowie außerbiblische Texte:
Der Bezug des Weltkatechismus auf Schrift und Tradition in quantitativer Betrachtung.
In: Christlich-Pädagogische Blätter 108 (1995) 148-150.
Inhalt: Durch einen Vergleich mit anderen Katechismen - insb. dem Trienter von 1566 - werden die jeweiligen Eigenheiten sichtbar. Von den Zitaten aus autoritativen Texten entfallen 47% auf das NT, 10 % auf das AT, 17% auf das II.Vatikanum, 15 % auf kirchliche Schriftsteller und 11% auf die restliche Überlieferung. Das außerbiblische Traditionsgut ist demnach beinahe genauso stark vertreten wie AT+NT. Das oft anzutreffende Nebeneinander von Überlieferung und Schrift bestätigt sich hier also auch in quantitativer Hinsicht. - Bei den Bezugnahmen auf die kirchlichen Schriftsteller dominiert ganz eindeutig das Altertum, insbesondere die Zeit des Augustinus. 90 % der zitierten Texte kirchlicher Schriftsteller sind zumindest 700 Jahre alt.