Dr. Franz Graf-Stuhlhofer

Leseprobe 2 aus "Öffentliche Kritik am Nationalsozialismus im Großdeutschen Reich"

"Kontakt mit Juden:
Hans Herzl als prominentes Beispiel (1924)

Julius Köbner, Sohn eines jüdischen Rabbi, war neben Oncken und Gottfried Wilhelm Lehmann einer der ‘drei Väter’ der deutschen Baptistenbewegung; die judenchristliche Komponente begleitete diese Bewegung also von Anfang an. Daß diese judenchristliche Komponente auch in Wien erkennbar wird, ist nicht verwunderlich angesichts des damaligen etwa 10%igen jüdischen Bevölkerungsanteils.

Im Jahr 1924, ‘the most critical year of his life’, wurde Hans Herzl, der Sohn des Begründers des Zionismus, in Wien Baptist. Sein Interesse am christlichen Glauben war durch Arbeitskollegen bei der Union Bank in Wien geweckt worden, die selbst Judenchristen waren. Sie verkörperten eine Verbindung von Judentum und Christentum, von der sich Herzl angesprochen fühlte. Am 20.Juli 1924 ließ er sich in der damals einzigen Wiener Baptistengemeinde taufen. Sie benützte ein Lokal im 6.Bezirk, in der Magdalenenstraße 21 (noch Ende 1924 übersiedelte sie dann in ein eigenes Haus im selben Bezirk, in der Mollardgasse 35). Taufender Pastor war Georg Saare.

Jüdische Kontakte der Gemeinde sind auch für die folgenden Jahrzehnte bezeugt (siehe dazu Teil XI). Die erwähnte Überweisung wurde von ‘Bruder Hans Herzl’ nicht abgeholt und wird noch heute im Archiv der Gemeinde aufbewahrt. Die Unterschrift stammte vom Gemeindeschreiber Heinrich Schmid. Ein weiterer Beleg seiner Taufe ist im Gemeinde-Register genannten Buch, das mit 1.Jan.1910 begann, enthalten: Im Alphabetischen Register wird er unter H genannt, wo auf die Nummer 481 des Chronologischen Registers verwiesen wird; als Datum der Aufnahme wird der 20.7.1924 angegeben, als Wohnort Wien, als Zeit der Geburt der 10.Juni 1891, als Zeit der Taufe der 20.Juli 1924 und als Täufer G.Saare. Diese Angaben bestätigen die in der Überweisung genannten. Diese beiden Quellen des Gemeinde-Archivs ergänzen und präzisieren die bisher dazu bekannte Überlieferung, die in Herzls Tagebüchern sowie in einem Brief an Cyril Picciotto besteht.

Diese Taufe hielt Hans Herzl weitgehend geheim. Kurz danach übersiedelte er nach London. Dort kam es zum - rasch bekannt gewordenen - Übertritt zur römisch-katholischen Kirche. Bis zu seinem Tod (1930 in Bordeaux) machte der psychisch labile Herzl noch manchen konfessionellen Wandel durch.

Auch danach ergaben sich gelegentlich Berührungen mit Juden: ‘Eine weitere Hausgemeinde, welche einen ausschließlich jüdischen Kreis umfassen soll’, sollte Anfang 1937 beginnen, und auch in der Nachkriegszeit wird eine ‘vornehmlich für Israeliten’ gedachte Hausgemeinde erwähnt."
(S.35-37)