Dr. Franz Graf-Stuhlhofer

eine (griechisch-)orthodoxe Einleitung in das NT

Konstantinos Nikolakopoulos: Das Neue Testament in der Orthodoxen Kirche. Grundlegende Fragen einer Einführung in das Neue Testament, (2.Auflage, 2014)

Hier bringe ich Auszüge aus meiner Rezension in der Zs. Jahrbuch für evangelikale Theologie 30 (2016) S.240-242:

die erste deutsch-sprachige orthodoxe NT-Einleitung

Diese „erste deutschsprachige orthodoxe Einführung in das Neue Testament“ (so der Autor selbst, auf S. 13, bezogen auf die 2011 erschienene 1.Auflage) entspricht einer traditionellen Einleitung in das NT und beschreibt die Geschichte von Text (Teil II) und Kanon (Teil III) sowie die Entstehung der Bücher des NTs (Teil VI bis XIV). Nikolakopoulos ist Professor für Biblische Theologie an der Ausbildungseinrichtung für orthodoxe Theologie der LMU München und schrieb diese Einführung „als einleitendes Lehrbuch für Studierende“ (13).

speziell die griechisch-orthodoxe Position dargestellt?

neuerer griechischer Fachliteratur. Solche macht den Großteil der von Nikolakopoulos verzeichneten orthodoxen Fachliteratur aus; so umfasst z.B. seine „Orthodoxe Bibliographie über Paulus“ (211f) 11 Titel, davon erschienen 8 in Athen und 2 in Thessaloniki. Ähnliches gilt für die zu einzelnen ntl. Büchern angegebene Literatur. Ich bin daher unsicher, ob diese Einführung die orthodoxe Theologie in ihrer ganzen Breite berücksichtigt. Nikolakopoulos verwies mir gegenüber darauf, dass er keineswegs die griechische Literatur einseitig bevorzugen wollte; aber da im 20.Jh. wegen des Eisernen Vorhanges aus dem orthodoxen Bereich fast nur griechische Theologen im westlichen Europa studieren konnten, wurde wichtige orthodoxe Literatur auf wissenschaftlichem Niveau vor allem in griechischer Sprache verfasst. Die einleitende Orthodoxe Bibliographie enthält fast zur Hälfte nichtgriechische Werke (den slawischen Titeln ist hier eine deutsche Übersetzung beigefügt).

Verfasser und Abfassungszeitpunkte

Die starke Berücksichtigung und Wertschätzung der Aussagen der Kirchenväter entspricht orthodoxer Tradition. Damit verbunden ist eine eher konservative Linie bei der Beantwortung der Verfasserfragen bei NT-Büchern. So schreibt Nikolakopoulos, unter stetem Rückbezug auf die allgemeine Einschätzung seiner orthodoxen Fachkollegen, die Abfassung aller 13 Paulusbriefe Paulus zu; bei den Pastoralbriefen greift er auf eine Sekretärshypothese zurück (253). Den 2.Petrusbrief hält er allerdings für pseudonym (276f). Die ntl. Bücher datiert Nikolakopoulos – in Übereinstimmung mit der allgemeinen orthodoxen Tradition – einige Jahre früher, als der historisch-kritischen Mehrheitsmeinung entspricht. Für die Evangelien nennt er folgende Schätzungen: Mk 64-70, Lk um 70, Mt 70-80, Joh um 90.

nicht ganz ausgereifte Aussagen

Die Ausdrucksweise von Nikolakopoulos finde ich oft nicht ganz treffend. So meint er etwa, die 4 Evangelien seien „keine ausführlichen Biographien der Person Jesu … also keine systematischen Darstellungen und Beschreibungen des irdischen Lebens Jesu in der Art eines persönlichen Tagebuches“ (80). Nun ist aber eine Biographie etwas völlig anderes als ein Tagebuch (das außerdem keine „systematische Darstellung“ ist).

Im Rahmen der Kanonsgeschichte heißt es, die „Schrift der Kirche“ war nicht der enge Kanon der 39 atl. Bücher (wie sie von Juden und Protestanten anerkannt werden), sondern ein „Kanon mit 49 Büchern, von denen mehrere im Neuen Testament … zitiert werden“ (50). Hier ist wohl gemeint, dass auch deuterokanonische Bücher im NT zitiert werden, wofür aber kein Beleg angeführt ist. Mir ist ein solches Zitat jedenfalls nicht bekannt. Dass die Alte  Kirche bereits einen solchen exakt mit 49 Büchern umgrenzten AT-Kanon gehabt hätte, ist spekulativ. Nikolakopoulos denkt hier wohl an einen über den römisch-katholischen Kanon hinausgehenden AT-Umfang, gibt aber nicht genau an, an welche 49 Bücher er hier denkt, und gibt auch keinen Beleg für eine Synode oder einen Kirchenvater der Alten Kirche, bei dem genau dieses 49-Bücher-AT zu finden wäre.

die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis

Im Osten gilt die Auferstehung Jesu als historisches Ereignis, während das im Westen umstritten ist – nach Meinung mancher westlicher Exegeten (Drewermann, Lüdemann) habe die Auferstehung bloß „in der Visions- und Phantasiewelt“ der christlichen Kirche stattgefunden. Dagegen halten die Orthodoxen etwa daran fest, „dass das Grab Christi leer“ war (315).

Fazit

Der durch dieses Buch von Nikolakopoulos gewährte Einblick in die orthodoxe ntl Einleitungswissenschaft, insbesondere soweit sie sich in ihrem griechisch-sprachigen Teil niederschlägt, ist wertvoll. Bei seinen Einschätzungen der Verfasser- und Datierungsfragen zeigen sich viele Übereinstimmungen mit evangelikalen Positionen. In der konkreten Darstellung ist das Buch leider noch unausgereift.